DFB-Outsider: Alte Baustellen, bekannte Gesichter

DFB-Sportdirektor Hansi Flick gab in der aktuellen Ausgabe der Sport Bild zu verstehen, dass der deutsche Fussballverband schon in den Juniorenteams gezielt Außenverteidiger und Stoßstürmer ausbilden will. Doch gibt es in den Untiefen der europäischen Top-Ligen womöglich bereits die perfekte Lösung für die Probleme der Verantwortlichen in Diensten des Bundesadlers? Sportjargon.net beleuchtet einige in Vergessenheit geratene Akteure sowie wiedererstarkte Routiniers.


Dennis Aogo

Bundestrainer Joachim Löw testete in jüngster Vergangenheit neben den bekannten Gesichtern Marcel Schmelzer und Erik Durm den Kölner Jonas Hector auf der linken Abwehrseite. Da Löw für das kommende Jahr weitere Experimente ankündigte, könnte ein alter Bekannter zurück ins Blickfeld gelangen. Dennis Aogo machte im Mai 2013 sein letztes Länderspiel beim 4:2 gegen Ecuador und sucht seit seinem Wechsel zum FC Schalke 04 im November des gleichen Jahres den Anschluss an die nationale Spitze. S04-Manager Horst Heldt sieht ihn dort bereits angekommen und bringt den Defensivspezialisten für das deutsche Eliteteam erneut ins Spiel: „Dennis Aogo wäre sicherlich ein Mann, der auf der linken Seite spielen könnte.“, sagte er im Oktober im Sport1-Doppelpass. Für den Verteidiger spricht sein Stammplatz im Verein. Sowohl in Liga und Champions League gehörte Aogo meist zur ersten Elf. Seit dem dritten Spieltag der Bundesliga verpasste er lediglich das Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg aufgrund einer Gelbsperre. Um aber erneut in den Kreis der Nationalmannschaft vorzustoßen, dürften die bisher gezeigten Leistungen nicht reichen. Besonders zu Saisonbeginn prägten schwache Zweikampfwerte und unsicheres Passspiel die Performance des 27-Jährigen. Erst in den Spielen gegen Mainz und Stuttgart stabilisierte er sich.

DFB-Prognose: 40%


Diego Contento

Ähnliche Ausgangslage wie bei Aogo. Bei Girondins Bordeaux wichtiger Bestandteil des Team, bei der deutschen Nationalmannschaft enorme Konkurrenz. Dies ist auch der Grund, warum Contento bisher nur vier Partien für die U-20 und noch kein A-Länderspiel bestritt. Er konnte sich nie einen entscheidenden Vorteil gegenüber seinen Mitbewerbern verschaffen. Aktuell sind die Voraussetzungen jedoch günstig wie nie. Schmelzer, Durm, Hector, Aogo etc. beginnen alle auf vergleichbarem Niveau, auch wenn die Weltmeister zunächst die größere Lobby haben dürften. Bei weiteren guten Leistungen für den französischen Traditionsklub dürfte Contento auch für Joachim Löw interessant werden. Problem: Schon im Jahre 2010 ließ der Halb-Italiener verlauten, dass er in Zukunft gerne für die Azzuri spielen möchte. Diese Tendenz wurde in diesem Jahr erneut verstärkt, als die Sport Bild vermeldete, dass Contento 2015 eine Nominierung für die Nationalmannschaft Italiens erwarten könne.

DFB-Prognose: 20%


Alexander Meier

Die Geschichte um den 31-Jährigen Stürmer aus dem beschaulichen Buchholz an der Nordheide ist eine, wie sie nur die Bundesliga schreibt. Zeigte er in den Vorjahren bereits ausgezeichnete Leistungen, liefert Meier in der Spielzeit 2014/2015 das Glanzstück seiner Karriere ab. Nach 14 Ligaspielen für Eintracht Frankfurt hat der Angreifer bereits 10 Tore auf dem Konto und schickt somit Größen wie Lewandowski, Müller und Huntelaar auf die Plätze in der Torschützenliste. In den vergangen drei Matches traf er viermal. Nicht verwunderlich, dass der ein oder andere Journalist die Frage nach der Nationalmannschaft stellt. Diese beantwortet der bescheidene Meier jedoch schlicht mit einem Verweis auf sein fortgeschrittenes Alter. Coach Löw zeichnete sich tatsächlich in der Vergangenheit nicht dadurch aus, betagten Feldspielern das Länderspieldebüt zu ermöglichen. Wahrlich gibt es unter den offensiven Talenten der Bundesrepublik deutlich jüngere Anwärter auf die Nachfolge der Legende Miroslav Klose. Kevin Volland, Thomas Müller, Mario Götze, Max Kruse. Sie alle können in der Spitze spielen. Trotzdem sind sie nicht die von Hansi Flick geforderten Spielertypen, die „wie Messi eiskalt vor dem Tor sind, den Ball in die Ecke schieben“. Der alte Meier aber ist so einer. Ob es auf die alten Tagen wirklich für die Nationalmannschaft reicht, wird das Jahr 2015 zeigen. Meier wird´s egal sein. Tore schießt er trotzdem.

DFB-Prognose: 10%

Formel 1: Chancengleichheit oder die Chance, dass alles gleichbleibt

Lewis Hamilton ist also der Formel 1-Weltmeister 2014. Glückwunsch – und der ist durchaus ernstgemeint – an den Engländer. Er verstand es den unmenschlich überlegenen Mercedes elfmal als Erster über die Ziellinie zu kutschieren. Die meisten Siege, die wenigsten Fehler: Lewis hat´s verdient.

Auch ist ihm nicht anzulasten, dass es sich die komplette Saison nur darum drehte, welcher Silberpfeil-Pilot am Ende in Abu Dhabi den Pott in den morgenländischen Himmel recken dürfe. Genau wie sein Kollege Rosberg blieb ihm nur das Fahren. Das Denken war den Teams überlassen und das taten sie gut. Das Entwicklungsgremium um Chef-Tüftler Paddy Lowe musste wohl bei der Konstruktion des 2014er-Boliden das neue Motorenregelwerk freudig verschlungen haben wie den „Zauberer von Oz“. Der Hybrid-Motor von Mercedes ist eine Errungenschaft für den Motorsport und bereits nach einer Saison ein moderner Klassiker. Im Vergleich mit der zermalmenden Effizienz dieses Antriebs zeigte sich vor allem der diesjährige Ferrari-Motor leistungsstark wie eine 2 Volt-Batterie.

Kein Wunder, dass die Konkurrenz von Mercedes nach einer erneuten Regeländerung schreit. Neben dem enormen Leistungsüberschuss der Deutschen bringen auch die immensen Kosten für die Hightech-Motoren kleine Teams ins Hintertreffen. Zuletzt überlegte beispielsweise Caterham 2015 mit dem 2014er-Antrieb anzutreten, um Kosten in der Entwicklung zu sparen und anfängliche Kinderkrankheiten des neuen Motors auszuschließen.

Für die großen Teams soll dies jedoch nicht infrage kommen. Stagnation in der Entwicklung käme einer Kapitulation vor den ohnehin übermächtig scheinenden Silberpfeilen gleich. So fordert Red Bull-Chef Christian Horner laut Sport Bild für das Jahr 2016 die Einführung von 1,6 Liter V6-Motoren. Diese wären günstiger in der Anschaffung und brächten sämtliche Teams wieder annähernd auf ein Niveau. Sollte es unter den Team eine Mehrheit für jene neuen Motorenregeln geben, droht Mercedes jedoch mit Ausstieg aus der Formel 1.

Besonders im Sinne einer auch finanziell ausgeglichenen Königsklasse des Motorsports wäre eine solche Regel ratsam. Von den 700 Mio Euro an die Teams abgeführte Einnahmebeteiligung erhalten die „Kleinen“ um Force India und Lotus nur rund 33%. Bei sechs kleinen Teams ist der Anteil pro Team verschwindend gering. Top-Motoren sind die Utopie. Laut Spiegel kosten jene mindestens 20 Millionen Euro.

Doch wird Bernie Ecclestone zulassen, dass die Formel 1 ihr bestes Pferd im Stall und somit – um in der Tierwelt zu bleiben – ihren Goldesel verliert? Nur, um Teams wettbewerbsfähiger werden zu lassen, die er auch gerne „Peinlichkeit“ oder „Krüppel“ schimpft? Schwer vorstellbar.

Für 2015 ist die Prognose klar: Mercedes vorne weg, dann kommt der Rest. In jüngsten Tests gewann die aktuelle Motor-Ausbaustufe der Stuttgarter bereits eine ganze Sekunde. Nach dem erneuten Duell Rosberg vs. Hamilton im nächsten Jahr steht die Formel 1 dann am Scheideweg. Entweder kommt die lebensnotwendige Regeländerung bezüglich der Motoren oder Ecclestone spritzt seinem Baby in Zusammenarbeit mit den großen Teams das tödliche Gift der Langeweile. Sämtliche Fans würden sich in diesem Fall ärgern, sich die kommende Mercedes-Parade angetan zu haben. So darf es nicht kommen.

USA GP: Im Wilden Westen nichts Neues!

Der Große Preis der Vereinigten Staaten von Amerika am Sonntag im texanischen Austin bescherte uns auf den ersten Blick wenig neue Erkenntnisse: Lewis Hamilton gewinnt, Nico Rosberg wird Zweiter, Pamela Anderson sieht immer noch aus wie 1998. Alles ist wie immer. Alles plätschert vor sich hin. Zwei Rennen vor Schluss siegt Hamilton zum fünften Mal in Folge und bleibt der Favorit auf den WM-Titel.

Derweil mehren sich die Zweifel an der Konkurrenzfähigkeit seines Teamkollegen. Während die Boliden über den amerikanischen Asphalt knatterten, rauschte in den sozialen Medien eine Welle der Kritik am deutschen Mercedes-Piloten über den Äther. Er sei kein Champion, heißt es. Angesichts von 75 zu vergebenen Punkten aus den letzten Rennen in Sao Paulo und Abu Dhabi verbietet sich eine solche Aussage selbstverständlich. Champion kann Rosberg definitiv noch werden.

Doch wie wahrscheinlich ist dies? Vor drei Wochen schrieb ich an gleicher Stelle, dass der Wiesbadener in Austin ein Zeichen setzen müsse, um der Öffentlichkeit den Kampf um die Weltmeisterschaft wieder glaubhaft zu vermitteln. Stattdessen fährt Hamilton den USA GP relativ ungefährdet nach Hause. Nach eigenen Fehlern und Unzulänglichkeiten am Auto in der jüngeren Vergangenheit war Rosberg seinem Rivalen diesmal schlichtweg unterlegen.

Nach dem entscheidenden Überholmanöver in Runde 25 hatte man nie den Eindruck, dass der Zweite der WM-Wertung zurückschlagen könnte. Vielmehr präsentierte sich Lewis so stabil, wie sein Nacken beim Tragen der protzigen Goldkette im Vorfeld des Rennens. Konsequente Selbstsicherheit und ein erschreckender Killerinstinkt zeichnen den Briten dieser Tage aus. Er trifft in den wichtigen Situationen die richtigen Entscheidungen und leistet sich so gut wie keine Schnitzer. Mit einer solch unaufgeregten Überlegenheit wäre Hamilton in jeder anderen Saison längst Weltmeister.

Bei den aktuellen 24 Punkten Rückstand, die Rosberg auf seinen Teamkollegen hat, hält lediglich die doppelte Wertung des Abu Dhabi-Grand Prix´ den Deutschen im Spiel. Diese künstliche Spannung braucht niemand. Hamilton hat sich den WM-Titel durch seine Kaltschnäuzigkeit bereits verdient. Eine Formel 1, die den Reiz nicht aus sich selbst zieht, sondern aus seinem Regelwerk, ist nicht der Sport der Fans. Leider war es in der zweiten Saisonhälfte auch nicht der Sport des Nico Rosberg.

Singapur GP: Das Lenkrad der Nation

Was 2006 bei der Fußballweltmeisterschaft dem deutschen Volke die Wade Michael Ballacks, das ist 2014 beim Formel 1-Grand Prix von Singapur das Lenkrad von Mercedes-Pilot Nico Rosberg. Lediglich bis zur 14. Runde dauerte es, ehe der Deutsche seinen Boliden frustriert in der Garage abstellen musste. Die Elektronik war teilweise Defekt und ließ Rosberg nicht problemlos hochschalten. Anfahren unmöglich.

Bereits vor dem Start des Rennens konnte der 29-Jährige nicht zur Einführungsrunde aufbrechen, musste das gesamte Feld passieren lassen und selbst aus der Boxengasse starten. Teamkollege Lewis Hamilton spielten die technischen Probleme seines WM-Rivalen in die Karten. Er dominierte das Fahrerfeld von Beginn an und sicherte sich in einem von taktischen Boxenstopps geprägten WM-Lauf kurz vor Schluss mit einem der wenigen Überholmanöver dieses Rennens gegen Sebastian Vettel den Sieg. Dank der Nullrunde Rosbergs steht der Brite nun in der Gesamtwertung drei Punkte vor dem gebürtigen Wiesbadener.

Der Wechsel an der Spitze ist Ausdruck eines Trends. Nachdem das Duell Hamilton gegen Rosberg beim Großen Preis von Belgien seinen unrühmlichen Höhepunkt fand, als der Weltmeister von 2008 infolge eines Zusammenpralls mit Rosberg ausschied, ist bei Nico Sand im Getriebe. In Monza versemmelte er wegen eines Fahrfehlers den sichergeglaubten Sieg, über welchen sich schließlich Hamilton freuen durfte. Nun setzte sich das Pech des Wahlmonegassen fort. In Singapur machte nun die Technik einen Strich durch die Rechnung.

Was bedeutet dieser erneute Rückschlag nun für Rosbergs WM-Hoffnungen? Die drei Punkte Rückstand sind angesichts fünf ausstehender Rennen und der doppelten Wertung des Abschlussspektakels in Abu Dhabi kaum der Rede wert. Ebenfalls dürfte trotz der jüngsten Ereignisse nicht über die Zuverlässigkeit des Rosbergschen Mercedes´ zu diskutieren sein. Nur zweimal kam er in dieser Saison nicht ins Ziel. Besser ist hier nur Fernando Alonso (ein Ausfall).

Wesentlich bedrohlicher wirkt allerdings die derzeitige Form Lewis Hamiltons. Nimmt man Trainings und Qualifyings der letzten vier Rennen zusammen, war der Engländer zehnmal schneller als sein Kollege. Dieser fuhr lediglich sechsmal dem aktuellen WM-Führenden davon. Hamilton scheint die Stabilität vom Saisonanfang zurückzuerlangen. Dort siegte er viermal in Folge, bevor er zum Sommer hin öfter schwächelte.

Diese ungeheure Präsenz und Zielstrebigkeit zeigt sich sowohl in Hamiltons Performance auf der Strecke als auch in jeder mimischen Regung abseits des Asphalts. Er wird jeden Fehler bestrafen. Rosberg darf sich keine leisten. Und das gesamte Volk schaut zu.

Schweinsteiger: Das Schlachtross besteigt den Thron

Sommer 2008 in Klagenfurt: Das zweite Gruppenspiel der deutschen Fussballnationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz. Gegner Kroatien führte die Bundesadler streckenweise vor und siegte am Schluss verdient mit 2:1.

Für den damals 24-jährigen Bastian Schweinsteiger auch ein persönlicher Tiefpunkt. Ohne Stammplatz zum Turnier gereist, holte er sich 25 Minuten nach seiner Einwechslung die Rote Karte wegen einer Tätlichkeit ab. Doch er zog die Lehre aus seinem Fehlverhalten. Bei den folgenden Siegen in der K.O.-Phase gegen Portugal und die Türkei erzielte er jeweils einen Treffer und trieb das Team nach vorne.

Bereits zwei Jahre vorher musste sich der junge Bayer die Wertschätzung erkämpfen. Sprachen bei der Heim-WM 2006 die Gazetten bis zum Halbfinale meist über Torschützenkönig Miroslav Klose und Schweini-Kumpel Lukas Podolski, schoss sich Bastian Schweinsteiger im „Spiel um Platz drei“ mit zweieinhalb Treffern ins Bewusstsein des Weltfußballs. Ähnliche Beispiele seines Willens waren in den weiteren Jahren einige zu finden.

Etwa die Leistungsexplosion nach seinem Positionswechsel ins defensive Mittelfeld unter Louis van Gaal, die in seinem persönlich wohl besten Turnier, der WM 2010 in Südafrika, mündete; oder aber der Gewinn der Champions League 2013 nach dem verkorksten Finale in München ein Jahr zuvor, bei dem er den entscheidenden Strafstoß im Elfmeterschießen gegen den FC Chelsea verschoss.

All diese Erfahrungen ebneten ihm den Weg zur unvergesslichen Nacht von Rio im Sommer 2014. Auch dieser Weltmeistertitel war erneut das Produkt der unbedingten Hingabe Schweinsteigers. Nicht nur die aktuelle Verletzung, die ihn schon das diesjährige DFB-Pokalfinale kostete, musste er im Hinterkopf gehabt haben. Die Europameisterschaft 2012 wird ihm ebenfalls zu denken gegeben haben. Auch hier bestritt er die Spiele nach langwierigen Blessuren nicht im vollen Besitz seiner Kräfte und spielte sein wohl schwächstes Turnier. Er blendete all dies jedoch aus, deutete bereits während der Gruppenphase in Brasilien an, dass er bereit ist für den ultimativen Erfolg und siegte.

Heute machte Bundestrainer Löw ihn offiziell zum neuen Kapitän der Nationalmannschaft. Aufgrund seiner Geschichte und seiner Persönlichkeit verdient Bastian Schweinsteiger diesen Titel und trägt ihn mit Recht.  

Er hat Niederlage und Triumph gleichermaßen verinnerlicht, führt die jungen Spieler an die verschiedenen Facetten des Sports heran und verkörpert die Unverwüstlichkeit wie kaum ein anderer. Man darf gespannt sein, mit welcher Energieleistung er sich diesmal aus seiner Verletzungspause zurückmeldet.