Formel 1: Chancengleichheit oder die Chance, dass alles gleichbleibt

Lewis Hamilton ist also der Formel 1-Weltmeister 2014. Glückwunsch – und der ist durchaus ernstgemeint – an den Engländer. Er verstand es den unmenschlich überlegenen Mercedes elfmal als Erster über die Ziellinie zu kutschieren. Die meisten Siege, die wenigsten Fehler: Lewis hat´s verdient.

Auch ist ihm nicht anzulasten, dass es sich die komplette Saison nur darum drehte, welcher Silberpfeil-Pilot am Ende in Abu Dhabi den Pott in den morgenländischen Himmel recken dürfe. Genau wie sein Kollege Rosberg blieb ihm nur das Fahren. Das Denken war den Teams überlassen und das taten sie gut. Das Entwicklungsgremium um Chef-Tüftler Paddy Lowe musste wohl bei der Konstruktion des 2014er-Boliden das neue Motorenregelwerk freudig verschlungen haben wie den „Zauberer von Oz“. Der Hybrid-Motor von Mercedes ist eine Errungenschaft für den Motorsport und bereits nach einer Saison ein moderner Klassiker. Im Vergleich mit der zermalmenden Effizienz dieses Antriebs zeigte sich vor allem der diesjährige Ferrari-Motor leistungsstark wie eine 2 Volt-Batterie.

Kein Wunder, dass die Konkurrenz von Mercedes nach einer erneuten Regeländerung schreit. Neben dem enormen Leistungsüberschuss der Deutschen bringen auch die immensen Kosten für die Hightech-Motoren kleine Teams ins Hintertreffen. Zuletzt überlegte beispielsweise Caterham 2015 mit dem 2014er-Antrieb anzutreten, um Kosten in der Entwicklung zu sparen und anfängliche Kinderkrankheiten des neuen Motors auszuschließen.

Für die großen Teams soll dies jedoch nicht infrage kommen. Stagnation in der Entwicklung käme einer Kapitulation vor den ohnehin übermächtig scheinenden Silberpfeilen gleich. So fordert Red Bull-Chef Christian Horner laut Sport Bild für das Jahr 2016 die Einführung von 1,6 Liter V6-Motoren. Diese wären günstiger in der Anschaffung und brächten sämtliche Teams wieder annähernd auf ein Niveau. Sollte es unter den Team eine Mehrheit für jene neuen Motorenregeln geben, droht Mercedes jedoch mit Ausstieg aus der Formel 1.

Besonders im Sinne einer auch finanziell ausgeglichenen Königsklasse des Motorsports wäre eine solche Regel ratsam. Von den 700 Mio Euro an die Teams abgeführte Einnahmebeteiligung erhalten die „Kleinen“ um Force India und Lotus nur rund 33%. Bei sechs kleinen Teams ist der Anteil pro Team verschwindend gering. Top-Motoren sind die Utopie. Laut Spiegel kosten jene mindestens 20 Millionen Euro.

Doch wird Bernie Ecclestone zulassen, dass die Formel 1 ihr bestes Pferd im Stall und somit – um in der Tierwelt zu bleiben – ihren Goldesel verliert? Nur, um Teams wettbewerbsfähiger werden zu lassen, die er auch gerne „Peinlichkeit“ oder „Krüppel“ schimpft? Schwer vorstellbar.

Für 2015 ist die Prognose klar: Mercedes vorne weg, dann kommt der Rest. In jüngsten Tests gewann die aktuelle Motor-Ausbaustufe der Stuttgarter bereits eine ganze Sekunde. Nach dem erneuten Duell Rosberg vs. Hamilton im nächsten Jahr steht die Formel 1 dann am Scheideweg. Entweder kommt die lebensnotwendige Regeländerung bezüglich der Motoren oder Ecclestone spritzt seinem Baby in Zusammenarbeit mit den großen Teams das tödliche Gift der Langeweile. Sämtliche Fans würden sich in diesem Fall ärgern, sich die kommende Mercedes-Parade angetan zu haben. So darf es nicht kommen.

Champions League: Hui vs. Pfui

Der zweite Spieltag der Champions League-Gruppenphase ist vorbei und die Eindrücke sind nicht ganz einfach zu verarbeiten. sportjargon.net macht einen Ordnungsversuch. Wir haben unsere Lichtblicke und Schattenseiten für euch zusammengestellt.

Hui

1. Neymars Kragen

Ob der Lieblingssohn Brasiliens kurzfristig ein BWL-Studium angefangen hat oder sich einfach vor liebevollen Nackenklatschern seines Landsmannes und PSG-Verteidigers David Luiz schützen wollte, ist nicht überliefert. In jedem Fall trug Neymar das Trikot des FC Barcelona am Dienstag in der Champions League gegen Paris St.Germain mit so viel Stil, wie es sonst nur Bela Lugosi hätte tun können. Als der Kapitän der Selecao in der 56. Minute zum 2:3 traf, war es als würde Dracula zubeißen. Grusel.

2. Francesco Totti

In Zeiten, in denen der Trend zum Karriereende mit Anfang 30 geht, zeigt der Italiener seiner Geburtsurkunde lächelnd den Mittelfinger. Vor der Partie gründlich mit Klosterfrau Melissengeist gegurgelt machte er sich mit seinem Treffer am Dienstag gegen Manchester City zum ältesten Torjäger der Champions League. Wenn Helmut Schmidt nun nochmal als Kanzler kandidiert und sich Günter Netzer selbst für die EM-Quali gegen Irland und Polen nominiert, ist unsere Welt wieder in Ordnung.

3. Lwiw

Die westukrainische Stadt Lwiw darf sich bei den pro-russischen Milizen bedanken. Dank des Konflikts im Osten des Landes sehen die Bürger Lwiws zum ersten Mal seit 2012 Fußball auf höchster, europäischer Ebene. Zuletzt rumpelte sich hier die deutsche Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft vor zwei Jahren gegen Dänemark zu einem 2:1-Sieg. Nun trägt Schachtar Donezk sämtliche Heimspiele inklusive Champions League im knapp 35.000 Personen fassenden Stadion aus. Zum Dank für die großartige Unterhaltung sangen die Bürger Lwiws während des CL-Spiels Donezk gegen Porto sogar die ukrainische Nationalhymne. Politische Hintergründe entsprechend der UEFA-Gesinnung natürlich komplett außen vor.

Pfui

1. Feuer

Egal ob in Trauer oder Euphorie gehört er stets zum Basisinventar des mitteilungsbedürftigen Fußballfans: Der Bengalo. Anzünden, wegwerfen, Spaß haben. Diese Botschaft der Nächstenliebe und Völkerverständigung suchten am jüngsten Champions League-Spieltag auch die Anhänger des NK Maribor und Galatasaray Istanbuls auf Schalke sowie in London zu verbreiten. 2000 Grad Glücksseeligkeit im hohen Bogen Richtung Spielfeld und eine nett gemeinte, modisch ansprechende Umgestaltung des Gästeblocks. Danke für euren Beitrag!

2. Das, was sie in Lissabon Pressing nennen

Hoch stehen, hoch verlieren: Dass diese Wendung seit Dienstag nicht Einzug in sämtliche Fußballhandbücher gefunden hat, liegt einzig an der Chancenverwertung des FC Chelsea. Im Duell mit Sporting Lissabon war die Verteidigung der Portugiesen offen wie der einheimische Reiseführer auf einer Afrika-Safari. Gegen seinen natürlichen Feind – den schnellen Ball in die Tiefe – stand die meist an der Mittellinie postierte Abwehrreihe wie die Antilope vor dem Gepard. London spuckte die Beute zwar mehrfach wieder aus, den tödlichen Genickbiss verhinderte dies aber nicht.

3. Hakan Calhanoglu

Das „G“ steht für Gefahr. Und wie auch Chuck Norris bereits wusste, folgt die große Genugtuung des Helden erst auf einen empfindlichen Rückschlag. So schien es, als hätte der Türke das Leder gegen Benfica Lissabon mit voller Absicht kläglich am Tor vorbei gegrätscht, um wenig später den Elfmeter zum 3:1 gelangweilt in die Maschen zu schieben. Ein wahrer Superstar weiß eben, was die Massen bewegt. Aber: Vergeben bleibt vergeben.

Schweinsteiger: Das Schlachtross besteigt den Thron

Sommer 2008 in Klagenfurt: Das zweite Gruppenspiel der deutschen Fussballnationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz. Gegner Kroatien führte die Bundesadler streckenweise vor und siegte am Schluss verdient mit 2:1.

Für den damals 24-jährigen Bastian Schweinsteiger auch ein persönlicher Tiefpunkt. Ohne Stammplatz zum Turnier gereist, holte er sich 25 Minuten nach seiner Einwechslung die Rote Karte wegen einer Tätlichkeit ab. Doch er zog die Lehre aus seinem Fehlverhalten. Bei den folgenden Siegen in der K.O.-Phase gegen Portugal und die Türkei erzielte er jeweils einen Treffer und trieb das Team nach vorne.

Bereits zwei Jahre vorher musste sich der junge Bayer die Wertschätzung erkämpfen. Sprachen bei der Heim-WM 2006 die Gazetten bis zum Halbfinale meist über Torschützenkönig Miroslav Klose und Schweini-Kumpel Lukas Podolski, schoss sich Bastian Schweinsteiger im „Spiel um Platz drei“ mit zweieinhalb Treffern ins Bewusstsein des Weltfußballs. Ähnliche Beispiele seines Willens waren in den weiteren Jahren einige zu finden.

Etwa die Leistungsexplosion nach seinem Positionswechsel ins defensive Mittelfeld unter Louis van Gaal, die in seinem persönlich wohl besten Turnier, der WM 2010 in Südafrika, mündete; oder aber der Gewinn der Champions League 2013 nach dem verkorksten Finale in München ein Jahr zuvor, bei dem er den entscheidenden Strafstoß im Elfmeterschießen gegen den FC Chelsea verschoss.

All diese Erfahrungen ebneten ihm den Weg zur unvergesslichen Nacht von Rio im Sommer 2014. Auch dieser Weltmeistertitel war erneut das Produkt der unbedingten Hingabe Schweinsteigers. Nicht nur die aktuelle Verletzung, die ihn schon das diesjährige DFB-Pokalfinale kostete, musste er im Hinterkopf gehabt haben. Die Europameisterschaft 2012 wird ihm ebenfalls zu denken gegeben haben. Auch hier bestritt er die Spiele nach langwierigen Blessuren nicht im vollen Besitz seiner Kräfte und spielte sein wohl schwächstes Turnier. Er blendete all dies jedoch aus, deutete bereits während der Gruppenphase in Brasilien an, dass er bereit ist für den ultimativen Erfolg und siegte.

Heute machte Bundestrainer Löw ihn offiziell zum neuen Kapitän der Nationalmannschaft. Aufgrund seiner Geschichte und seiner Persönlichkeit verdient Bastian Schweinsteiger diesen Titel und trägt ihn mit Recht.  

Er hat Niederlage und Triumph gleichermaßen verinnerlicht, führt die jungen Spieler an die verschiedenen Facetten des Sports heran und verkörpert die Unverwüstlichkeit wie kaum ein anderer. Man darf gespannt sein, mit welcher Energieleistung er sich diesmal aus seiner Verletzungspause zurückmeldet.